„Gesunde Entwicklung ist ein kokreativer, mehrdimensionalerund evolutionärer Vorgang.“
„Ich bin ein evolutionär gewordener Teil größerer Lebensdimensionen. Ich lebe in stimmiger Verbundenheit und Resonanz mit diesen.“
1. Zielorientierung und das Attraktionsprinzip
Chaosforscherinnen haben den zeitlichen Verlauf von dynamischen Systemen beobachtet. Dabei fanden sie heraus, dass manche Systeme, die zunächst chaotisch erschienen, irgendwann zu einer relativ stabilen Ordnung gefunden hatten – zu einer Kohärenz. Diese Dynamik heißt „deterministisches Chaos“. In dieser Dynamik scheint es eine implizite Beziehung zwischen Information (Ordnung) und Chaos zu geben. In dem, was uns als Chaos erscheint, scheint eine verborgene kohärente Information zu stecken, die sich nach einer gewissen Zeit in einer neuen Ordnung zeigt – z .B. immer wieder in unterschiedlichen Wolkenmustern am Himmel oder eine heile Haut bei Wunden. Dies resultiert aus dem Attraktionsprinzip (vgl. Petzold 2021: „Schöpferisch kommunizieren“).
Ob es auch ein nicht deterministisches Chaos gibt oder ob es nur eine Frage der Beobachtungsdauer und des Kontextes ist, wann und wie sich aus einem Chaos neue Ordnungen bilden, ist eine offene Frage. Da Ordnung die Folge von Informationen ist, wird es immer wieder Ordnung geben, wenn es im Universum Information gibt – was wir annehmen.
Wenn wir von der Evolution komplexer geordneter Systeme wie uns Lebewesen als Tatsache ausgehen, erscheint zumindest auf der Erde die Bildung von geordneten dynamischen Strukturen aus dem Chaos in den letzten vier Milliarden Jahren nicht als Frage des Glaubens, sondern als evidente Wirklichkeit. Leben erscheint als natürlicher Beweis eines noch nicht erkannten und nicht formulierten Naturgesetzes der Negentropie als der Emergenz von komplexer Ordnung – dem Attraktionsprinzip.
Ganz analog erleben wir tagtäglich, wie attraktive Ideale und Soll-Zustände wie Gesundheit unsere Aktivitäten leiten. Diese attraktiven Ziele haben wir bis zum 11. Symposium zur Salutogenese 2019 in Anlehnung an die Chaosforschung „Attraktoren“ genannt. Durch verbreitetes Unverständnis und Kritik an diesem Begriff sind wir in der Folge aus zwei Gründen dazu übergegangen, sie jetzt „Attraktiva“ zu nennen. Zum einen habe ich den Anspruch an eine mathematische Formulierung dieser handlungsleitenden attraktiven Ziele aufgegeben und erfahre derartige mathematische Ambitionen eher als Ablenkung vom Mitgestalten der Zukunft durch Antizipation jeweils aktueller Attraktiva. Zum anderen passt die semantische Bedeutung der Endung „-tor“ nicht zur inhaltlichen Bedeutung des Begriffs (s. Fußnote). Die Endung „-tor“ in „Attraktor“ bezeichnet eine aktive Qualität, dies trifft jedoch auf das bezeichnete Phänomen der attraktiven Informationen nicht wirklich zu. Die Information dieses attraktiven Zustands ist als abstrakte, womöglich nichtlokale Größe in einem virtuellen Möglichkeitsraum zu denken (vergl. Peitgen, Jürgens u. Saupe 1992, 1994; Petzold 2000; Kriz 2017). Attraktor bezeichnet eine abstrakte Information, die einen mehr oder weniger stabilen Zustand eines dynamischen Systems kennzeichnet. Sie ist als ruhende, durch Attraktivität wirkende Information zu verstehen, ähnlich dem „unbewegten Beweger“ bei Aristoteles. Deshalb und weil diese Informationen sich in Bezug auf Menschenleben in ihrer Komplexität einer Berechenbarkeit prinzipiell entziehen, nennen wir diese in der salutogenen Kommunikation „Attraktiva“. So beschäftigen wir uns hier bei gesunder Entwicklung vor allem mit Wegen der Annäherung an diese attrahierenden Ziele Attraktiva.
Im Zentrum steht die Bedeutung einer Information der „Ganzheit“, die attraktiv für Energie und Materie ist. Diese Information ist eine (nichtmaterielle) abstrakte Entität, die aus einer Innenschau in Bezug zur individuellen Ganzheit von vielen „Seele“ oder auch pauschal „Geist“ genannt wird.
Die Ganzheit ist eine systemische Attraktiva für die Teilsysteme. In der Komplexitätsforschung werden die Teilsysteme deshalb häufig als „Agenten“ bezeichnet. Dieses Attraktionsprinzip gilt für lebende Prozesse gesunder Entwicklung wohl allgemein, es wird in Heilungsprozessen besonders deutlich. So hat vor 100 Jahren schon der Neurologe und Psychiater Kurt Goldstein, ein Mitbegründer der Gestaltpsychologie und -theorie, bei Heilungsvorgängen nach Gehirnverletzungen im Ersten Weltkrieg immer wieder betont und dargestellt, wie diese nur im Gesamtzusammenhang des Organismus verstanden werden können (1934/2014).
Abbildung 6: Im zeitlosen Moment der Gegenwart können wir in Resonanz gehen mit Informationen aus dem zeitlosen Möglichkeitsraum, mit Attraktiva.
1a. Information und Energie
Information und Energie sind die beiden Grundentitäten aller Wirklichkeit, des Universums – soweit wir es annehmen können. Damit ist Information die große gestaltbildende und damit komplementäre, abstrakte Grundentität zur Energie, wie Yin und Yang in der taoistischen Philosophie, wie das Ruhende und das Bewegende bei Aristoteles. Auch Naturgesetze und ihre Repräsentation in mathematischen Formeln können wir als Informationen reflektieren. Energie gibt die Dynamik, Information die Qualität.
Praktisch bedeutet es heute, dass wir unsere Aufmerksamkeit noch stärker auf Qualität und Information richten müssen, wenn wir die Zukunft zum Guten mitgestalten wollen.
Information wird durch Resonanz übertragen. Dies ist der ursprüngliche schöpferische Vorgang. Resonanz ist der Grundvorgang von Kommunikation. So sind alle Kommunikationen kokreative Prozesse.
Resonanzmuster machen Beziehungen aus.
Drei Arten von Resonanz werden unterschieden:
- Direkte Resonanz
- Resonanz selbstregulierter Subjekte
- Attraktiv informierende Resonanz (wie Samen)
Informationen als Inhalt von Kommunikationen informieren, also prägen Beziehungen und gestalten somit auch die Empfänger.
Die Marmor-Skulptur „Kommunikation“ (im Header-Foto der Startseite) ist von Dietlind Petzold: www.studio-amaranta.com.