Metatheorie gesunder Entwicklung - neues Paradigma

Die Notwendigkeit eines neuen übergeordneten Paradigmas, eines grundsätzlichen Umdenkens in der Medizin hat ein neues Ausmaß erreicht. Dieses Umdenken hat zwar schon lange begonnen, jetzt durch Corona allerdings einen neuen Schub erfahren.

Warum brauchen Gesundheitsberufe eine Metatheorie gesunder Entwicklung?

Bei allem Pragmatismus und aller Theoriefeindlichkeit in der Medizin in den letzten 30 Jahren möchte ich zunächst einmal daran erinnern, dass eine gute Theorie die beste Praxis ist. Eine gute Theorie entsteht aus einer reflektierten auch guten Praxis und leitet eine gute Praxis. Die Frage nach einer Metatheorie ist heute besonders aktuell, weil es so unterschiedliche Gesundheitsberufe gibt und weil andere Berufsgebiete wie die Politik und Ökonomie massiv in das Gesundheitswesen eingreifen – anscheinend nach dem alten Prinzip „Teile und herrsche!“. Eine Rahmen- oder Metatheorie gesunder Entwicklung ist der Gegenstand einer neu zu formierenden Gesundheitswissenschaft. Sie soll den unterschiedlichen, für die Gesundheit der Menschen wichtigen Handlungsfeldern und Disziplinen eine Orientierung für die Forschung, Theoriebildung und Praxisentwicklung geben. Sie soll die jeweils maßgeblichen Paradigmen und ihre Auswirkungen reflektieren und Ethik und Erkenntnistheorie bewusst integrieren. Sie soll die Rollen auch von Politik und Ökonomie für die gesunde Entwicklung der Menschen klären.

Eine Metatheorie für gesunde Entwicklung soll die Autonomie der Gesundheitsberufe wie auch die möglichst aller Menschen entfalten helfen.

Drei Aspekte des neuen Paradigmas

Eine Metatheorie für Gesundheitsberufe versteht sich selbst als ein spezieller Teil der Lebenswissenschaften mit einem klaren gesellschaftlichen und globalen ethischen Auftrag, nämlich für die gesunde Entwicklung möglichst aller Menschen zu sorgen.

  1. Sie legt eine Zielorientierung von lebenden Prozessen für die gesunde Entwicklung zugrunde (salutogenetische Orientierung).
  2. Sie sieht die gesunde Entwicklung (Salutogenese) komplex-dynamisch als Kokreation (womöglich auch im evolutionären Kontext).
  3. Sie sieht die gesunde Entwicklung des Individuums systemisch in Wechselbeziehungen mit seinen Mitmenschen und Umwelten: in Familie, Kultur (auch Werte und Normen, Staat/Nation, Ökonomie), der Menschheit, der Umwelt/Natur/Biosphäre sowie kosmischen Systemen (s. „Lebensdimensionen“ unter „Systemischer Psychologie). Dabei sieht sie top-down und bottom-up Aspekte.

Meine Beiträge zur Metatheorie:

1. Zielorientierung und das Attraktionsprinzip

Chaosforscherinnen haben den zeitlichen Verlauf von dynamischen Systemen beobachtet. Dabei fanden sie heraus, dass manche Systeme, die zunächst chaotisch erschienen, irgendwann zu einer relativ stabilen Ordnung gefunden hatten. Diese Dynamik heißt „deterministisches Chaos“. In dieser Dynamik scheint es eine implizite Beziehung zwischen Information (Ordnung) und Chaos zu geben. In dem, was uns als Chaos erscheint, scheint eine verborgene Information zu stecken, die sich nach einer gewissen Zeit in einer neuen Ordnung zeigt – z .B. immer wieder in unterschiedlichen Wolkenmustern am Himmel oder eine heile Haut bei Wunden. Dies resultiert aus dem Attraktionsprinzip (vgl. Petzold 2021: „Schöpferisch kommunizieren“). 

Ob es auch ein nicht deterministisches Chaos gibt oder ob es nur eine Frage der Beobachtungsdauer und des Kontextes ist, wann und wie sich aus einem Chaos neue Ordnungen bilden, ist eine offene Frage. (> mehr…)

2. Gesunde Entwicklung findet im Kontext der Evolution statt

Die Evolution der Lebewesen zeigt eine Entwicklung zu immer komplexeren Lebewesen. Diese sind keineswegs anpassungs- oder überlebensfähiger als die ursprünglichen Bakterien, aber gestaltungsfähiger und sie können kooperativ und individuell mehr und vor allem komplexere Informationen verarbeiten. Wir können sie einschließlich uns selbst als Fraktale (selbstähnliche Teil-Einheiten) eines schöpferischen Universums verstehen. Es entsteht ein neues Menschenbild.

Der Mensch ist als Teilsystem letztlich eines ganz großen Ganzen in Resonanz mit seinen übergeordneten Systemen wie Familie, Kultur, Biosphäre, Sonnensystem… Als Teilsystem können wir das übergeordnete große Ganze prinzipiell nicht vollständig erkennen. Aus dieser Erkenntnis folgert Demut gegenüber dem Leben.

Die Evolution ist das Ergebnis von Kooperation, von Zusammenwirken unterschiedlicher Teilsysteme in ihren Umwelten – … (> mehr…)

3. Komplexe dynamische Systeme

Um Komplexität zu erfassen, braucht es einen ganzheitlichen systemischen Ansatz. In einer systemischen Sichtweise (Systemtheorie) spielt die Ganzheit eine zentrale Rolle.

Üblicherweise werden als Kriterien für komplexe Systeme genannt: Wechselwirkungen, Zirkularität, Unvorhersehbarkeit, Mehrdimensionalität, Selbstorganisation u. a. 

Ein wichtiger Aspekt von Komplexität lässt sich an komplexen Zahlen verdeutlichen. Komplexe Zahlen haben außer reellen Zahlen 0, 1, 2, 3 usw. noch einen imaginären Anteil [1]. Eine imaginäre Einheit ist i = Wurzel aus –1; reell gibt es diese Zahl als Menge nicht. Sie existiert nur in der Imagination, ist also von gänzlich abstrakter Natur. Analog ist ein System als komplex zu bezeichnen, wenn es eine Kombination aus Realität und imaginierter (vorgestellter; nicht zählbarer, nicht physisch reeller) Information ist. In der Mathematik spricht man bei imaginären Zahlen auch von der „Erweiterung des Körpers (der reellen Zahlen)“. Analog dazu ist der Begriff komplexe Systeme zu verstehen als Erweiterung von beobachtbaren messbaren Systemen um funktionelle, abstrakte und imaginierte Zusammenhänge.  (> mehr…

 

Die Marmor-Skulptur „Kommunikation“ (im Header-Foto der Startseite) ist von Dietlind Petzold: www.studio-amaranta.com.