Systemische Psychologie und eine salutogene Psychodynamik gesunder Entwicklung

Eine systemische Psychologie soll die vielen Detail-Erkenntnisse der empirischen Psychologie in einen möglichst konsistenten/kohärenten und gesellschaftlich relevanten Zusammenhang bringen. Menschen sind Individuen in ihrer Wechselbeziehung zu ihren Um- und Innenwelten. Zu einer systemischen Psychologie gehört eine Meta-Reflexion der kulturellen Bedingungen wie der Forschungsmethoden und der Sprache.

Der Mensch als Ganzes ist ein Teilsystem seiner mehrdimensionalen Umwelt. Er entsteht und lebt vernetzt in Kohärenz und Resonanz zu seiner Familie, seiner Gesellschaft/Kultur sowie zur Menschheit / Biosphäre und kosmischen Systemen.

Was bedeutet das für eine den modernen Erkenntnissen angemessene Psychologie, die früher explizit eine metaphysische Wissenschaft war und im Siegeszuge der materiellen Naturwissenschaften zunehmend zu einer statistisch empirischen Psychologie wurde?

Heute können wir – nicht zuletzt aufgrund von Ergebnissen der modernen Physik – wieder metaphysische Entitäten in unser wissenschaftliches Denken einbeziehen. Dazu gehören insbesondere Informationen wie z.B. die der Ganzheit eines Menschen sowie auch seiner Übersysteme wie Familie, Organisation, Kultur usw. Diese Ganzheit ist evident, obwohl sie nicht messbar ist. Sie ist mehr als die Summe aller Teile z.B. eines Menschen und erscheint im Zusammenwirken all seiner Teile in Wechselbeziehungen / Resonanz zu Umwelten. So erscheint es mir angebracht – anknüpfend an Klassiker der Philosophie wie Aristoteles und Descartes – diese abstrakte Information der Ganzheit eines Menschen als seine Psyche / Seele zu verstehen. Der Organismus mit all seinen Funktionen wie Gefühlen und Gedanken strebt nach der Kohärenz dieser Ganzheit. Dies ist der jeder Heilung zugrunde liegende Vorgang. Diese Kohärenz macht, dass unser reales Ganzes mehr ist als die bloße Summe unserer Teile. Diese Sichtweise ist die Grundlage für die Selbst- und Kohärenzregulation.

Mit dem Verstehen des Menschen als ein Ganzes, dessen Teile nach Kohärenz in der Ganzheit streben, sind wir beim Kern eines systemischen Verstehens. Jedes Individuum ist ein Teilsystem (auch „Agent“) von größeren Übersystemen wie Familie, Nation, Menschheit…. Jeder ist in Resonanz / Wechselwirkung zu seinen Übersystemen sowie auch partnerschaftlichen Mitsystemen und Teilsystemen.

Abbildung 1: Kohärenz in Lebensdimensionen – holarchisches Modell der Rahmung unseres Daseins. Jedes Individuum steht im Mittelpunkt seiner Weltbeziehungen. In seinem Inneren kommunizieren seine Organe überwiegend physikalisch-chemisch. Mit seinen nahen Mitmenschen im sozialen Übersystem kommuniziert es zu 80-100% direkt sinnlich, also nonverbal. In seinen kulturellen Bezugssystemen wird die Kohärenz wesentlich durch Zeichensysteme wie Sprache und Geld hergestellt. In der globalen Lebensdimension ist die Kohärenz transkulturell, meta-sprachlich – geistig. 

1. Lebens- und Ich-Dimensionen

Wenn Sie sagen: „Ich bin.“, sprechen Sie von Ihrem Ganzen, Ihrem „Ich“. Dieses lebt in Resonanz zu allen Lebensdimensionen: im Physischen: „Ich bin ganz in meinem Körper bei mir.“, im Sozialen: „Ich bin ein Mitglied meiner Familie.“, im Kulturellen: „Ich bin ein Bürger in meinem Land.“, im Globalen: „Ich bin ein Teil der Menschheit und Biosphäre.“ und im größeren kosmischen Ganzen: „Ich bin ein Teil des Universums.“. In Ihrer Resonanz zu diesen Lebensdimensionen nehmen Sie wahr, gestalten mit, reflektieren und lernen Sie. 

Um in diesen mehrdimensionalen Beziehungen leben zu können, hat unser Gehirn im Laufe der Evolution entsprechende Regionen und Netzwerke entwickelt, die sich zwar nicht trennen, wohl aber unterscheiden lassen – ganz analog zu den Lebensdimensionen. ( > mehr…)

2. Salutogene Psychodynamik gesunder Entwicklung und Kohärenzregulation

Bislang ist die Psychodynamik im Wesentlichen eine Lehre der Psychopathologie aus der Geschichte der Psychoanalyse. Eine Psychodiagnose hat häufig eine diskriminierende Wirkung wie z.B. „Psychopath“ oder „Narzisst“. Immer wieder gibt es TherapeutInnen, die mit Psycho-Diagnosen über Menschen urteilen. Auch viele Journalistinnen und andere Laien benutzen psychopathologische Urteile, nicht um Menschen zu verstehen, sondern um sie zu diskriminieren. Durch Psychodiagnosen werden inzwischen weite Teile unseres individuellen und sozialen Lebens pathologisiert. Für „gesund“ gab und gibt es noch keine Definition außer Abwesenheit von Krankheit bzw. Norm.

Aus der durch Erfahrung gereiften Überzeugung, dass es eine zugrunde liegende Psychodynamik gesunder Entwicklung gibt, habe ich viele Jahre geforscht, um diese in ihren impliziten Tiefen zu ergründen und passende Worte und Bilder dafür zu finden.

Psychisch / seelisch gesund ist ein Mensch, wenn er in der Lage ist, seine unterschiedlichen Bedürfnisse, Anliegen und Ziele in seiner mehrdimensionalen Umwelt hinreichend befriedigend (für alle Beteiligten) zu kommunizieren – körperlich, emotional-mitmenschlich, mental-kulturell und geistig. Unsere psychische Gesundheit ist somit eine dynamische, wechselseitige, kommunikative und kooperative Angelegenheit.

Für die jeweilige gesunde Entwicklung können wir beim Menschen drei prozessuale Grundfähigkeiten sehen (s. Abb. 3): (> mehr…)

3. Motivationale Einstellungen

Was motiviert Menschen zu gesundem Verhalten, zur kokreativen Kooperation auch mit der Natur? Zur geistigen Entwicklung – letztlich zu einem guten Leben in der Biosphäre? Wenn man ständig die Nachrichten liest, könnte man meinen, dass es nur Motivation zum Überlebenskampf und Konsum gibt. Dabei hat der Mensch eine übergeordnete Motivation zur Kohärenz im Inneren und in äußeren Beziehungen, wie ich zusammen mit Anja Henke in unserem Buch „Motivation. Grundlegendes für ein gelingendes Leben“ ausgeführt haben (hier zum Büchershop). 

Um diese Kohärenz in seinen Lebenswelten immer wieder hinreichend herzustellen, hat der Mensch drei Grundmotivationen zur Kohärenz, Annäherung/Appetenz und Abwendung/Aversion mit drei basalen Einstellungen, die durch neuro-motivationale Systeme gesteuert werden. Diese neuro-motivationalen Systeme regulieren sein Wahrnehmen, Handeln und Reflektieren und auch seinen Stoffwechsel, wie Atmung und Verdauung, bis in die Zellen hinein. Mit gezielten Fragen können wir diese Systeme und Einstellungen anregen und integrieren.

Die motivationalen Systeme werden angeschaltet durch eine Bewertung einer Situation – ist sie aufbauend und Lust versprechend oder bedrohlich, oder erscheint sie verbunden und stimmig. (> mehr…

 

Die Marmor-Skulptur „Kommunikation“ (im Header-Foto der Startseite) ist von Dietlind Petzold: www.studio-amaranta.com.