Theodor Dierk Petzold
Wenn wir die Nachrichten von Umweltzerstörung, Korruption, Krieg und anderem lebensfeindlichen Verhalten lesen, entsteht der Eindruck, dass Menschen überwiegend antisozial, gierig und zerstörerisch motiviert sind. Angeblich reagieren Menschen nur auf „Zuckerbrot“ und „Peitsche“, also entweder auf Belohnung oder auf Bedrohung. Was sagen neue Erkenntnisse der Neuropsychologie dazu? Sind Menschen primär zum Überleben motiviert oder zu einem guten Leben in ihrer Umwelt? Sind wir vor allem und letztlich individuell egoistisch motiviert oder haben wir eine primäre Motivation zum Kooperieren – zum Mitgestalten?
Laut Geo-WissenschaftlerInnen haben wir das Zeitalter des Anthropozän, des vom Menschen geprägten Erdzeitalters begonnen. Welche Motivation und welche daraus folgende Ziele prägen diese begonnene Zukunft?
Was motiviert dich – nachhaltig? Was ist dir langfristig bedeutsam?
Neurowissenschaftliche Grundlagen
Bisher sind zwei Grundmotivationen wissenschaftlich anerkannt, die als tiefe motivationale Einstellungen das Verhalten, Fühlen und Denken sowie den Stoffwechsel prägen. Das ist zum einen die lustorientierte, Dopamin gesteuerte Annäherungsmotivation, auch Appetenzmotivation genannt, die auf das „Zuckerbrot“, also die Belohnung reagiert. Es dient der Nahrungssuche und -aufnahme sowie Paarung – kann leider auch zum Suchtverhalten führen. Zum anderen ist das die Abwendungsmotivation, auch Vermeidungs- oder Aversionsmotivation genannt, die auf Gefahren wie auf die „Peitsche“, also die Bestrafung reagiert und für Sicherheit sorgen soll.
Es versetzt den gesamten Organismus samt Fühlen und Denken in einen erhöhten Spannungsmodus zum Abwenden. Ein anhaltender Stressmodus führt häufig zur Entstehung von chronischen Erkrankungen. Diese Abwendungsmotivation, die mit einem Gefühl von Angst und Unsicherheit verknüpft ist, spielt auch bei Kriegen die Hauptrolle.
Damit diese beiden Grundmotivationen überwiegend zur Sicherheit bzw. zum Aufbau des Lebens dienen, braucht es die übergeordnete Kohärenzmotivation, die das rechte Maß vorgibt und bei Bedarf die Aktivitäten zur Sicherheit/Kontrolle bzw. Aufbau/Lust anregt oder bremst. Diese regulatorische Fähigkeit ist besonders im Stirnhirn, im lateralen Präfrontalcortex LPFC repräsentiert.
Gibt es eine Motivation zum guten Leben mit der Umwelt?
Ganz gelassen kooperieren
Das übergeordnete Kohärenzsystem ist mit dem Gefühl von Freude und Gelassenheit, von Stimmigkeit im Inneren und in äußeren Beziehungen verknüpft. Es ist die Motivation zu nachhaltigem Kooperieren auch mit der Natur. Während die Aversionsmotivation zu schnellen und vorübergehenden Kooperationen zur Gefahrenabwehr motiviert, hat die Kohärenzmotivation langfristige und positive Ziele, die die KooperationspartnerInnen intentional verbinden und zum Mitgestalten motivieren.
Diese drei Grundmotivationen bilden das grundlegende Bindeglied zwischen unseren Weltbeziehungen und unseren Körperfunktionen. Die Kohärenzmotivation lässt uns nach stimmiger Verbundenheit im Inneren wie im Äußeren mit Mitmenschen wie mit der Umwelt streben. Im Inneren suchen wir eine „vertikale“ Kohärenz, die mit Wohlbefinden und Gesundheit verknüpft ist. Im Äußeren streben wir jeweils nach „horizontaler“ Kohärenz, auch Zugehörigkeit, in unseren Lebensdimensionen wie unserer Familie, Kultur und global-geistig. Wenn wir zu sehr unserer Appetenz- und/oder Aversionsmotivation folgen und diese noch medial puschen, kann das Zerstören überwiegen. Die Zukunft der Menschheit ist die Folge ihrer Motivation.
Am 18.2.23 findet im Zentrum für Salutogenese ein Symposium zu diesem Thema statt. Das Programm können Sie hier herunterladen.
Theodor Dierk Petzold und Anja Henke zeigen in ihrem neuen Buch „Motivation. Grundlegendes für ein gelingendes Leben“ die neuropsychologischen Grundlagen ebenso wie praktische Möglichkeiten zur Kultivierung der Kohärenzmotivation. Es ist eine gänzlich neue, integrierende und systemische Sicht auf die menschliche Motivation und Motivationspsychologie.